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Aus dem Tagebuch eines Texters

Liebes Tagebuch,

gestern bekam ich wieder einmal den Auftrag, einen Text für einen Radiospot zu schaffen. Das ist eigentlich etwas, das ich mit sehr viel Leidenschaft erledige.

Voller Freude stürzte ich mich also auf die Lektüre des Briefings. Der Auftraggeber aus der Bio-Branche – nennen wir ihn mal „Rumpelstilzchen“ – möchte getrocknete Früchte an die Konsumenten bringen. Die kommen aber nicht irgendwo her, sondern stammen aus dem seit etlichen Jahren eigenen, sozial und partnerschaftlich geführten Projekt mit Bauern in Anatolien. Die anatolischen Bauern werden also nicht unterdrückt, verarscht und unterbezahlt, sondern sie werden fürstlich entlohnt und ihre sämtlichen Befindlichkeiten stehen voll im Fokus des abendländischen Partners, der sich daraus resultierend nicht nur einhundert Prozent biologisch erzeugter Trockenfrüchte erfreuen darf. Nein, darüber hinaus hat das total sozial eingestellte Rumpelstilzchen auch noch ein voll sauberes Gewissen! Und das ist es, was jetzt in den Radiospot soll.

Wen interessiert denn, ob diese dämlichen Trockenfrüchte schmecken oder ob sie gut sind für die ausgewogene Ernährung? Warum sollten wir den Konsumenten denn einen Tipp geben, wie lecker das Müsli sein könnte, wenn Mann oder Frau ein paar von diesen sonnengereiften und schonend getrockneten Früchten untermischt? Warum sollten wir irgendein Wort darüber verlieren, wie lecker die Dinger als Snack zwischendurch sind und wie viele wichtige Vitamine die haben?

Nein, diesen ganzen kommerziellen Quatsch sparen wir uns. Wir distanzieren uns ausdrücklich davon, dass wir Werbung machen. Obendrein auch noch in diesem Massenmedium Radio. Stattdessen machen wir den Hören lieber klar, dass sie gefälligst des Rumpelstilzchens soziales Engagement monetär zu unterstützen haben. Genau, wie die taubstummen Feuerzeugverteiler abends in der Kneipe, die einem ein Feuerzeug auf den Tisch legen mit einem Zettelchen dazu, auf dem in herzzerreißender Manier geschrieben steht, dass man als sozial Benachteiligter ja keine Arbeit findet und seine acht Kinder und die kranke Oma nicht versorgen kann. Man kann aber sein Gewissen freikaufen und bekommt dafür dann ein Feuerzeug. Und wenn wir jetzt diese im Radiospot nebenher erwähnten Trockenfrüchte kaufen, dann tun wir etwas dafür, dass die anatolischen Bauern sauberes Wasser und Bildung bekommen – und gefälligst da bleiben, wo sie sind.

Ja, liebes Tagebuch, so läuft das schon seit vielen Jahren in der Bio-Branche. Aber es hat ja auch etwas Gutes: So kommen wenigstens nicht die Massen in den Biomarkt und man hat viel Freiraum beim Einkaufen und muss nicht ewig an der Kasse hinter irgendwelchen Chantals und Kevins warten.

Ich kann jetzt gar nicht so viele Trockenfrüchte essen, wie ich kotzen möchte…