Wenn alte Medien neu entdeckt werden
Scheinbar monatlich kommt ein neues Buzzword um die Ecke. In der Folge sind Verantwortliche im Marketing noch stärker verunsichert, als es ohnehin schon der Fall gewesen ist. Fast könnte man annehmen das einzige Ziel der Digitalisierung sei es, die Werbebranche in den Wahnsinn zu treiben.
Influencer Marketing, YouTube, Facebook, Instagram, Programmatic, Snapchat, Content, Banner und so weiter, und so weiter. In Windeseile rennt die Branche dem digitalen Hochgeschwindigkeitszug hinterher, ohne auch nur eine Chance zu haben, alles richtig machen zu können und greifbare Erfolge einzufahren. In einer Kolumne der Wirtschafts Woche beschreibt Thomas Koch nachvollziehbar, wie ständig eine andere Sau durchs Dorf getrieben wird. Deren Schlachtung wird als unverzichtbar für das Gelingen einer vorzüglichen Marketingpastete gepriesen. Doch tatsächlich ist es bislang niemandem gelungen, die in schier endlos anmutender Sammelwut zusammengetragenen Daten auch wirklich zielführend einsetzen zu können.
Sicherlich sind diese Umstände nicht zuletzt einer veränderten Unternehmenskultur und dem Generationswandel geschuldet. In der Vergangenheit sind Produkte und Unternehmen entstanden, die sich allmählich zu Marken entwickelt haben. In der Folge mussten diese entsprechend kommuniziert werden. Bis dort eine Marketingabteilung aufgebaut war, gab es erst einmal jede Menge Manpower, um die Produkte zu entwickeln und herzustellen.
In jungen Startups läuft die Maschinerie anders. Da gibt es zunächst eine Idee. Anschließend wird der Prototyp entwickelt und noch bevor ein innovatives Produkt oder eine neue Dienstleistung auf den Markt geworfen wird, sitzt in den ehemaligen Fabrikationsetagen – den alten Lofts aus Ziegelstein – eine kleine Armee von fleißigen Nerds. Deren Job ist es, den digitalen Feldzug vorzubereiten. Parallel rennen die Gründer von Investor zu Investor, um Kapital einzusammeln. Das Problem der Nerds ist jedoch, dass sie ihren durch digitale Scheuklappen eingeschränkten Blick allein auf das Netz der unbegrenzten Möglichkeiten werfen. Wer kann es ihnen verdenken, sind sie doch mit diesen Medien aufgewachsen.
„Radio ist für uns Neuland“
In den vergangenen drei Jahren müssen wir jedoch verstärkt feststellen, dass die Rechnung nicht mehr aufgeht. Das Universum digitaler Medien ist zu einem Giganten herangewachsen, in dem der Erfolg von Marketingstrategien in schwarzen Löchern zu verschwinden scheint. Mit steigender Tendenz werden wir von Startups konsultiert, um deren Kommunikation ins Radio zu verlagern. Zunächst noch mit Befremden, mittlerweile jedoch mit Gelassenheit, beantworten wir Fragen, die zumeist mit einem sehr markanten Satz eingeleitet werden: „Radio ist für uns Neuland.“
Radio, seit 1923 fester Bestandteil der Medienwelt, wird von einer ganzen Generation als Neuland betrachtet und muss in seiner Funktionsweise detailliert erklärt werden. Dennoch ist gerade dieses Medium in der Lage, viele schwarze Löcher zu stopfen, die das digitale Universum nicht füllen kann. Zwar ließen bereits Ende der 1990er Jahre erste Gründer von Webradios verlautbaren, das klassische Radio sei dem Tod geweiht und hätte noch maximal zehn Jahre vor sich. Doch ist auch das Radio mittlerweile großflächig im Netz verfügbar. Die Chancen stehen gut, dass der selbe Radiosender, den man daheim traditionell über UKW gehört hat, anschließend per Ohrschnuller am Smartphone weiter gehört wird. Denn die Vorteile liegen klar auf der Hand: Radio kann beinahe überall nebenbei konsumiert werden, ohne den Blick des Konsumenten auf das Display zu fordern.
Und eine gut erzählte Story im Radio funktioniert nach wie vor, wie die gute alte Mundpropaganda. Mit dem richtigen Hand-/Mundwerk sogar messbar.